Ich bin an einer postpartalen Depression erkrankt. Das ist meine Geschichte.

Rund8fit, an einer postpartalen Depression erkranken.

10 bis 15 Frauen von 100 erkranken in ihrem Leben an einer postpartalen Depression. Ein Thema, das in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus geraten ist und über die glücklicherweise immer mehr gesprochen und geschrieben wird. Ich bin selber Hebamme und Mutter und möchte etwas zur Enttabuisierung von Depressionen in der Schwangerschaft und nach der Geburt beitragen. Als Fachperson ist und war das für mich schon immer ein Thema. Bei der Arbeit mit Familien in der Schwangerschaft und nach der Geburt allerdings wurden Depressionen nur selten richtig thematisiert.

 

Rund8fit, an einer postpartalen Depression erkranken.

 

Auch mich hat meine Hebamme bei allen meinen drei Kindern direkt nach der Geburt immer mal wieder auf ein mögliches Stimmungstief hingewiesen. Das da was kommen könnte, der sogenannte ‘Babyblues’. 40 bis 80 Prozent der Frauen erleben einen Babyblues. Und der kam auch bei mir bei allen drei Kindern ein paar Tage nach der Geburt. Da war viel Trauer, da waren viele Tränen, der Verlust der Schwangerschaft, die riesige Freude über das kleine Glück und auch ein Anflug von Überforderung und Angst. Die Gefühlslage stabilisierte sich bei mir jeweils wieder. Das ist aber nicht immer so. Ein Teil der Mütter entwickelt eine postpartale Depression.

 

Was ist eine postpartale Depression?

Eine postpartale Depression zeigt ein gleiches Krankheitsbild wie eine Depression, steht aber im zeitlichen Zusammenhang mit einer Entbindung und umfasst alle Depressionen, die während eines Jahres nach der Entbindung auftreten.

Folgende Symptome können bei einer postpartalen Depression auftreten:

  • Depressive Verstimmung und Reizbarkeit
  • Interessenverlust
  • Antriebsstörung
  • Energiemangel, chronische Erschöpfung, Konzentrationsstörungen
  • Schlaf- und Appetitstörungen
  • Ängste
  • Zwangsgedanken (z.B. Angst, das Baby nicht gut versorgen zu können oder es gar zu verletzen)
  • Gefühl, mit dem Kind nichts anfangen zu können
  • Schuld- und Insuffizienzgefühle dem Kind gegenüber
  • Suizidgedanken

 

Für mich persönlich stellt sich die Frage, wie sich eine postpartale Depression wirklich anfühlt, ob man sie selber erkennt und was eine Frau in dieser Situation am dringendsten braucht.

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Meine beste Freundin ist nach der Geburt an einer postpartalen Depression erkrankt. Auf meine Anfrage hin war sie einverstanden, ihre persönliche Geschichte zu erzählen und so anderen Frauen Mut zu machen sowie zur Enttabuisierung dieser Erkrankung beizutragen.

“Ich bin gut genug als Mama – genauso, wie ich es mit meinem Kind mache.” Am Ende unseres Gespräches will mir meine Freundin diese Aussage an andere Mütter dieser Welt mit auf den Weg geben. Ausschlag des Gespräches war dieser Blogartikel. Hier zeichne ich euch mein Gespräch mit ihr auf:

 

Erzähl uns kurz etwas über dich:

“Ich bin ungefähr drei Monate nach der Entbindung an einer postpartalen Depression mit Angstzuständen erkrankt. Meine Tochter kam Mitte Februar 2020 auf die Welt, nur einige Wochen vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Direkt nach der Geburt und in den ersten Wochen habe ich mich gut gefühlt. Klar waren da unruhige Nächte und es war anstrengend, aber ich habe mich sehr über meine Tochter gefreut. Einzig das Stillen hat bei mir nicht wirklich funktioniert. Ich hatte zuerst zu viel Milch, dann plötzlich zu wenig. Es war sehr anstrengend. Meine Tochter war nach dem Stillen praktisch nie zufrieden. Es fühlte sich an wie ein Kampf. Nach drei Monaten sah ich mich gezwungen, abzustillen. Das tat mir unendlich weh – die Nähe zu meiner Tochter beim Stillen war für mich sehr wichtig und es bedeutete mir viel, meine Tochter mit meiner Muttermilch zu füttern. Aber ich konnte einfach nicht mehr und die Milch wollte aufgrund meiner Erschöpfung nicht mehr richtig fliessen. 

Aufgrund der Corona-Pandemie hatte ich beim Abstillen nur wenig fachliche Unterstützung. Stillberatungen waren damals zeitweise nur per Telefon möglich. Die hormonelle Umstellung in Kombination mit meinem Gefühl, zu versagen, mein Kind nicht ernähren zu können, ihr nicht genug Nähe zu geben und dazu noch die Erschöpfung der letzten drei Monate führten bei mir zu einer Depression. Diagnostiziert wurde eine Erschöpfungsdepression.” 

 

Wie hat sich deine Depression konkret angefühlt?

“Ich fühlte mich einfach mega erschöpft und extrem alleine. Mein Partner war zwar im Homeoffice, aber er musste ja arbeiten. Am Morgen wusste ich nicht, wie ich den ganzen Tag mit diesem Baby alleine schaffen soll, jeder kleinste Schritt war mir zu viel. Ich fühlte mich irgendwie gefühllos. Schlief sehr schlecht. Und ich war lange unendlich traurig, weil es mit dem Stillen nicht geklappt hatte.  Auch hatte ich grosse Schuldgefühle – umso mehr, weil meine Tochter den Schoppen am Anfang komplett verweigerte und zwei Wochen lang fast nichts zu sich nahm.”

 

Wusstest du eigentlich was mit dir los ist?

“Ja, eigentlich ziemlich rasch. Ich war schon einige Jahre, bevor ich Mama wurde, einmal an einer Depression erkrankt. Ich erkannte, dass ich Hilfe brauchte, und zwar schnell. Ich wusste, dass ich jetzt sofort handeln musste, weil ich die Situation alleine nicht mehr stemmen konnte.”

 

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Wo hast du dir Hilfe geholt?

“Das war eigentlich das Schwierigste. Wohin wende ich mich und an wen? Die Betreuung durch die ambulante Hebamme war abgeschlossen. Da war es die Kinderärztin, die ja eigentlich fürs Baby zuständig ist. Diese hat mir dann den Tipp von einer Frauensprechstunde im Kantonsspital gegeben, aber dort habe ich nicht sofort einen Termin erhalten, sie waren überlastet. Ich meldete mich dann bei verschiedenen Psychiatern, aber es hatte niemand Kapazität. Schlussendlich hatte ich ein Gespräch mit einem Freund, der Psychologe ist, und dieser hat mir einen Kontakt zu einer Psychiaterin ermöglicht. Dort habe ich dann endlich einen Termin erhalten.”

 

Wie wurdest du therapiert?

“Ich erhielt Medikamente gegen meine Depression und gegen meine Angststörung und ging einmal in der Woche in eine Gesprächstherapie.”

 

Wie entwickelte sich deine Krankheit?

“Nach etwa drei Wochen konnte ich besser schlafen. Meine Erschöpfung wurde besser. Das erste Mal einigermassen normal fühlte ich mich dann nach unseren Ferien im Sommer. Nach zwei Wochen gemeinsam mit meinem Partner fühlte ich mich etwas ‘gebödelet’. Von da an ging es aufwärts.”

 

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Wie geht es dir heute?

“Es geht mir heute meist gut. Wir wünschen uns ein zweites Kind. Momentan nehme ich noch Medikamente, bin diese nun am Absetzen. Ich empfinde den Alltag mit meinem Kind immer noch als anstrengend, vor allem die Vereinbarkeit von Kind und Beruf. Dieses ständige dran sein, nie eine Pause zu haben. Das merke ich. 

Ich habe aber auch erfahren, dass man wieder aus einer postpartalen Depression heraus kommt. Irgendwie hat es mich auch stärker gemacht.”

 

Was hat dir nebst der medikamentösen Therapie geholfen?

“Auf jeden Fall die Unterstützung meines Partners. Dann aber auch der Wiedereinstieg bei der Arbeit. Diese Zeit für mich, der Austausch mit Erwachsenen und eine gewisse Selbstbestimmtheit zurückzugewinnen.

Auch der Austausch mit anderen Müttern in der Rückbildung sowie die Körperarbeit in der Rückbildung haben mir geholfen. Ich lernte mich selber wieder als Person zu spüren. Und ganz wichtig wurden für mich die gemeinsamen Kinderbetreuungstage mit zwei neuen Freundinnen, die ebenfalls kleine Kinder haben. Wir treffen uns heute zweimal die Woche und verbringen unsere Morgen oder Nachmittage gemeinsam. Diese Solidarität und die Gespräche von Mutter zu Mutter sind für mich unheimlich wichtig – eine extreme Stütze in dieser anstrengenden Baby- und Kleinkindzeit.” 

 

Was möchtest du anderen Mamas aus deinen Erfahrungen mitgeben?

“Die Ursache meiner postpartalen Depression waren meine Stillprobleme, meine Erschöpfung, Selbstvorwürfe, weil ich mein Kind nicht stillen konnte. All das kombiniert mit einer schwierigen und ungewohnten Weltlage aufgrund der Corona-Pandemie. Ich war auch sehr alleine, meine Eltern kamen wegen der Pandemie kaum zu Besuch. All diese Faktoren haben bei mir eine Depression ausgelöst. Was für mich für den Heilungsprozess unheimlich wichtig war: Zu lernen, Selbstmitgefühl zu haben und mir nicht noch selber Vorwürfe für meine Erkrankung zu machen, im Stil von „du bist so schwach“, „andere Mütter schaffen das und du nicht“, „du kannst nicht genügend für dein Baby da sein“. Ich will, dass alle Mütter hören: Wer an einer Depression erkrankt, trägt keine Schuld dafür und versagt nicht. 

Ich möchte andere Mamas dazu ermutigen, sich zu sagen „so wie ich es mache, ist es gut“, „so wie ich es mache, genüge ich“, „ich bin eine gute Mutter, auch wenn ich Krisen habe, auch wenn ich eine Depression habe“. Und ich möchte dem Druck der Gesellschaft, dass das Stillen so zentral für die Babies ist, entgegenwirken: Klar ist Muttermilch für ein Baby ideal. Aber auch Schoppenbabies gedeihen. Auch Schoppenbabies kriegen genug Nähe. Das Wichtigste dabei ist, dass es nicht nur dem Baby, sondern auch der Mama gut geht.

 

Rund8fit, an einer postpartalen Depression erkranken.

Eben, wie schon zu Beginn gesagt: Ich bin gut genug als Mama – genauso wie ich es mache.

Vielleicht erkennst du dich wieder in den Aussagen meiner Freundin? Du fühlst ähnlich? Dann hol dir unbedingt Hilfe. Als erste Handlung kannst du den folgenden Fragebogen für dich ausfüllen.

Der Edinburgh-Postnatal-Depression-Scale gibt eine erste Einschätzung, ob du an einer postpartalen Depression erkrankt sein könntest. Hier gibt es den Fragebogen zum Download:

https://postpartale-depression.ch/de/component/rsform/form/3:fragebogen-zur-selbsteinschaetzung.html?Itemid=528

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Weitere Informationen und Hilfestellungen auch für betroffene Angehörige findest du unter
https://postpartale-depression.ch/de/

 

Brauchst du akut Hilfe? 

Schweiz: Bei einer akuten Krise kannst du dich an eine der folgenden Einrichtungen wenden:

Elternnotruf, Telefon 0848 35 45 55, www.elternotruf.ch

Die Dargebotene Hand, Telefon 143, www.143.ch

Bezirksspital Affoltern am Albis (Mutter-Kind-Station)
Telefon 044 714 27 44, www.spital-affoltern.org

Psychiatrie Emmental (Kanton Bern)
Telefon 034 421 27 27, www.spital-emmental.ch

Ita Wegman Mutter-Kind-Haus (Kanton Solothurn)
Telefon 061 701 54 80, am Wochenende: 079 791 29 35, www.itawegman-mutterkindhaus.ch

KIZ Zürich (Kriseninterventionszentrum)
Telefon 044 296 73 10, www.pukzh.ch

KIZ Basel (Kriseninterventionszentrum)
Telefon 061 325 51 11, www.unispital-basel.ch

KIZ Bern (Kriseninterventionszentrum)
Telefon 031 632 88 11, www.gef.be.ch

KIZ St. Gallen (Kriseninterventionszentrum)
Telefon 071 914 44 44, www.psychiatrie-nord.sg.ch

KIZ Winterthur (Kriseninterventionszentrum)
Telefon 052 264 37 00, ww.ipw.ch

 

Eine ausführliche Übersicht von Selbsthilfegruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie Literatur-Tipps zum Thema Depression gibt es auf der Internetseite des Nürnberger Selbsthilfeportals “Du bist wichtig”.

 

Wichtige Anlaufstellen in Deutschland: 

  • Telefonseelsorge: anonyme, kostenlose Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit, erreichbar unter (0800) 111 0 111 oder (0800) 111 0 222. Die Telefonseelsorge bietet ebenfalls eine Mail- und eine Chat-Betreuung an.
  • Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe: erreichbar montags, dienstags und donnerstags von 13 bis 17 Uhr sowie mittwochs und freitags von 8.30 bis 12.30 Uhr unter (0800) 33 44 533. Die Deutsche Depressionshilfe bietet auch einen Selbsttest sowie Informationen und Adressen rund um das Thema Depression an.
  • Diskussionsforum Depression: Erfahrungsaustausch für Betroffene und Angehörige
  • Bei Suizidgedanken sollten sie in jedem Fall die Ambulanz der psychiatrischen Abteilung einer Klinik vor Ort kontaktieren. Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist unter der deutschen Telefonnummer 116 117 zu erreichen.
  • Selbsthilfe und Beratung vor Ort: NAKOS (Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen) unter der Telefonnummer (030) 31 01 89 60, erreichbar dienstags, mittwochs und freitags von 10 bis 14 Uhr und donnerstags von 14 bis 17 Uhr

 

Wichtige Anlaufstellen in Österreich: 

 

 

Quellen:

https://postpartale-depression.ch/de/

Ging A., 2016. Postpartaler Depression, Symptomatik, Prävention, Therapie. Gynäkologie 1

 

Dieser Artikel ist von Sophie Wanner. Sophie ist Hebamme und Aromatherapeutin.
Für rund∞fit schreibt sie Artikel aus ihrem Fachbereich.

 

Über die Autorin Sophie Wanner

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