Totgeburt – Penelope, mein totes Kind in mir

rund8fit. Totgeburt und Fehlgeburten kommen häufig vor.

Der dritte Sohn meiner Grossmutter verstarb, als sie im 7. Monat schwanger war; der vierte kurz nach seiner Geburt.

Brigitte, meine kleine Cousine, starb während der Geburt.

Meine Schwiegermutter erlitt eine Fehlgeburt.

Meine Tante musste eine Eileiterschwangerschaft verkraften.

Meine Schwägerin verlor zwei ihrer insgesamt fünf Kinder während den ersten Schwangerschaftswochen.

Mein zweites Kind – Luna – kam im Verlauf des zweiten Trimesters tot zur Welt.

 

 

Fehlgeburt und Totgeburt || Teil 2

Gemäss Schätzungen der Fachstelle kindsverlust.ch kann davon ausgegangen werden, dass jedes Jahr 20`000 Frauen in der Schweiz eine Fehlgeburt (kindliches Sterben vor der 24. Schwangerschaftswoche) erleben. Fast jede fünfte Schwangerschaft endet als frühe Fehlgeburt, also in den ersten 12 Wochen. Zudem sterben in der Schweiz und in Liechtenstein um die 600 Kinder rund um die Geburt oder während des ersten Lebensmonats.

Meine eingangs skizzierte Familiengeschichte, als auch die von der Fachstelle kindsverlust.ch angegebenen Schätzungen zeigen, dass der frühe Tod eines Kindes keinesfalls ein seltenes Phänomen ist. Doch trotz der Alltäglichkeit von Fehl- und Totgeburten hat diese Erfahrung das Potential, Frauen in ihrer Emotionalität und Körperlichkeit zutiefst zu erschüttern. Anna Margareta Neff Seitz, Leiterin der Stiftung kindsverlust.ch, begründet dies so: «Die Fürsorge für ein Kind fängt mit der Schwangerschaft an.»

 

Trotzdem will unsere Gesellschaft das eigentlich allgegenwärtige Thema noch nicht gänzlich wahrhaben, bekam ich nach meinem Verlust das Gefühl. Mein direktes, aber vor allem mein erweitertes Umfeld wusste plötzlich nicht mehr, wie mit mir, einer verwaisten Mutter, umzugehen ist. Die Standard-Floskel «Hallo, wie geht es dir?» bekam ich plötzlich nicht mehr zu hören.

 

Umso mehr freut es mich, dass sich während den letzten Monaten zwei Frauen meldeten, die ihr verstorbenes Kind geboren haben und davon erzählen wollten. Im Teil 1 erzählte bereits Stefanie ihre Geschichte. Heute teilen wir die von Teodora.

Es sind zwei von tausenden Geschichten, die im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit einer Fehl- oder Totgeburt geschrieben wurden. Sie fanden während unterschiedlichen Stadien der Schwangerschaften statt, betrafen unterschiedliche Familiengefüge und hinterliessen bei den Frauen und ihrem Umfeld unterschiedliche Gefühle und Spuren.

 

Wir von rund∞fit hoffen, mit den Artikeln über eine Fehl- und eine Totgeburt aufzuklären. Wir hoffen, dass zukünftig Betroffene im unsagbar schmerzhaften Moment des Verlustes erkennen, dass verschiedene Wege gegangen werden können. Dass sie den gewählten Weg aber keinesfalls alleine gehen müssen.

 

Teodora und Penelope 

Teodora hat alles, was sie sich wünscht: Mann, Tochter, ein neuer, spannender Job – alles unter einem Hut. Dann wird sie ein zweites Mal schwanger – ein zweites Wunschkind! Doch der Job fordert, die Familie auch. «Ich erlebte die zweite Schwangerschaft als enorm stressig, manövrierte mich während des zweiten Trimesters an den Rand der Belastbarkeit.» Aufgrund des hohen Stresslevels macht sie sich Sorgen um das Ungeborene. Doch die Untersuchungen zeigen immer und immer und immer wieder: Es ist alles in Ordnung mit dem kleinen Mädchen.

Also suchen Teodora und ihr Mann nach einem Namen für das Kind, das bald ihre kleine Familie ergänzen würde. Sie kleben Post-it`s an den Kühlschrank, schreiben die Favoriten darauf. Gefällt einer nicht, wandert er vom Kühlschrank in den Müll. Ein Zettel aber bleibt hängen: Penelope! 

Er hängt auch noch dort, als Teodora plötzlich wenige Wochen vor der geplanten Geburt einen noch nie dagelegenen Schmerz in der Leistengegend spürt. Er fährt durch ihren Körper, so stark, dass sie regungslos liegen bleibt und ihren Mann anruft. Zusammen fahren sie sofort zu einer Untersuchung ins Spital. Diese untersucht Mutter und Kind, findet aber die Ursache für den Schmerz nicht. Und dem Baby geht es gut. Die Beine strampeln, das Herz schlägt. Penelope scheint von der ganzen Aufregung nichts mit zu bekommen.

Also fahren die baldigen Zweifach-Eltern einigermassen beruhigt nach Hause. Es ist Hochsommer und Teodora möchte mit ihrer Familie den Sonntag bei ihrer Mutter verbringen. Zusammen geniessen sie das Nichtstun im Schatten, erzählen von der Aufregung und dem Besuch im Spital am Freitag, sinnieren darüber, wie es zu viert sein wird, als Teodora plötzlich erstaunt zu ihrer Mutter meint: «Ich habe heute das Baby noch kaum gespürt.» «Wahrscheinlich schläft sie. Das kann doch sein, dass man in diesem Schwangerschaftsstadium das Kind nicht immer spürt.»

Teodora`s Verstand glaubt die Logik ihrer Mutter. Doch ihr Gefühl… Ständig wartet sie darauf, dass Penelope sich meldet. Vergebens. Irgendwann hält sie die Ungewissheit nicht mehr aus, rennt Montagmorgen in aller Früh zu ihrer Gynäkologin. Wie gelähmt und mit einem ihr die Luft abschnürenden Gefühl der Angst liegt Teodora auf der Krankenliege, als der Ultraschall angestellt wird. Sie erinnert sich an den Albtraum, den sie vor einigen Tagen träumte: Dabei wickelte sie ihr neugeborenes Kind in Zellophanfolie ein – es erstickte.

Ihre Gynäkologin untersucht sie, als die schwarz-weissen-Bilder auf dem Bildschirm ihre schlimmsten Ängste Realität werden lassen: Penelope`s Beine strampeln nicht, kein Herzschlag ist zu erkennen. Penelope ist gestorben. Einfach so. Im Bauch ihrer Mutter.

Ihr Mann schreit, als Teodora ihn anruft, um ihm mitzuteilen, dass ihr Baby tot sei. Gemeinsam beschliessen sie zuhause, dass Penelope so schnell wie möglich geboren werden soll. «Ich wollte mein Kind einfach nur noch in die Arme schliessen», begründet Teodora ihren Entscheid. Im Krankenhaus wird Teodora erneut untersucht und fundiert beraten.

Bald darauf wird die Geburt medikamentös eingeleitet. Wehen wechseln sich mit Pausen ab. Teodora gebärt ein kleines Mädchen – ebenso perfekt und wunderschön wie ihre grosse Schwester – nur mit dem Unterschied, dass Penelope ihre Augen nicht öffnet, nicht in die Welt hinaus staunt, nicht Luft holt und los schreit. «Der Volksmund spricht ja oftmals von einer stillen Geburt. Genau so habe ich Penelopes Geburt empfunden: still. Mein Kind blieb still. Ich war taub.»

Penelopes Geburt ist inzwischen ein Jahr her. Ein Jahr, in dem ihre Mutter, ihr Vater und somit auch ihre grosse Schwester alle möglichen Facetten der Trauer kennenlernen mussten. «Es ist ein ständiges Auf und Ab. Manchmal funktioniere ich recht gut, manchmal reisst mir ein kleines Detail den Boden unter den Füssen weg und ich Falle in Tiefen, die ich vorher noch nie erfahren musste. Viele Fragen werden für immer unbeantwortet bleiben, das weiss ich. Und doch schwirren sie haltlos in meinem Kopf herum. Habe ich Penelope gezeigt, dass ich sie liebe? Hätte ich ihr Sterben verhindern können? Ich vermisse mein Kind. Penelope und ihr Sterben werden immer ein Teil von mir bleiben.»

Happy Birthday, kleine Penelope! Wir feiern dich und deine Familie!

 

rund8fit. Frühgeburt und Fehlgeburten kommen häufig vor.

 

Erklärungen zur Totgeburt

Ab der vollendeten 22. Schwangerschaftswoche spricht man von einer «Totgeburt». In der Schweiz werden Fehlgeburten und Totgeburten unterschieden. Eine Totgeburt ist ein totgeborenes Kind ab 500 Gramm Gewicht oder nach Vollendung der 22. Schwangerschaftswoche. Solche Kinder haben ein Anrecht auf Bestattung und sind meldepflichtig.

Leider ist die genaue Ursache von Totgeburten bei über 30% aller Fälle unbekannt. In den übrigen Fällen kann eine Totgeburt durch Wachstumsstörungen des Fetus, Plazenta-Komplikationen, Präeklampsie, unbehandelten Diabetes mellitus, schwere Fälle von Rhesusunverträglichkeit, Infektionen, Blutungen während der Spätschwangerschaft sowie durch unkontrollierte Übertragung eines Erregers verursacht werden. Die Zahl der Totgeburten liegt im Moment in der Schweiz unter 1%. 

 

Die Geburt des verstorbenen Kindes

Die Todesmitteilung des Kindes führt in der Regel zu einer grossen emotionalen Erschütterung für die Eltern. Weil die Tatsache des kindlichen Sterbens kaum auszuhalten ist, tendieren wir Menschen dazu, sofort aus dieser Not aussteigen zu wollen. Es scheint zuweilen, als würde es die Not lindern, wenn das Kind so schnell wie möglich aus dem Mutterbauch entfernt wird. Tatsache ist jedoch, dass das Leiden nicht verringert wird, je schneller man handelt. Es ist daher sehr ratsam, nach dem Feststellen des kindlichen Todes erst einmal Zeit zu schaffen, um Schritt für Schritt realisieren zu können, was passiert ist. Die Zeit von der Todesfeststellung bis zur Geburt und dem Kennenlernen des Kindes ist eine sehr wertvolle Zeit, die den Eltern mit ihrem Kind bleibt. Da können wertvolle Erinnerungen geschaffen werden, die für das Weiterleben heilsam sind.

In der Regel setzen die Wehen innerhalb weniger Tage nach dem Tod des Kindes von selbst ein.

 

Rechtliches

Ein Kind ist meldepflichtig, wenn es

– entweder lebend zur Welt kam,

– tot geboren wurde und mindestens 500g wog,

– oder ab beginnender 23. Schwangerschaftswoche (=22 0/7 SSW) tot

geboren wurde.

 

Daraus ergibt sich:

  • Das Kind wird im Personenstandsregister aufgenommen und bei verheirateten Paaren gibt es einen Eintrag im Familienausweis.
  • Für das Kind gelten die gleichen Bestattungsrechte und -pflichten wie für einen älteren verstorbenen Menschen.
  • Eltern dürfen entscheiden, ob Sie ihr Kind für die Zeit des Abschiednehmens mit nach Hause nehmen möchten. Sie dürfen sich so viel Zeit nehmen, wie sie brauchen, um Ihr Kind zu begrüssen, um zu begreifen, was passiert ist, und von ihm Abschied zu nehmen.
  • Grundsätzlich sehen die Bestimmungen für berufstätige Frauen einen Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen zu 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens vor der Geburt vor. Der Anspruch auf diese Entschädigung besteht, wenn ein Kind lebensfähig geboren wird oder wenn die Schwangerschaft mindestens 23 Wochen (ab 23 0/7 SSW) gedauert hat.
  • Für die ersten acht Wochen nach der Geburt gilt ein absolutes Beschäftigungsverbot für alle Wöchnerinnen, deren Schwangerschaft mindestens 23 Wochen gedauert hat (Mutterschaftsschutz).
  • Sämtliche ärztliche Untersuchungen und Spitalaufenthalte sind bis zur achten Woche nach der Geburt von jeglicher Kostenbeteiligung befreit.
  • Wochenbettbetreuung durch die Hebamme oder eine Pflegefachperson: Jede Gebärende hat in den ersten 56 Tagen nach der Geburt Anrecht auf Hausbesuche einer Hebamme oder Pflegefachperson mit kantonaler Zulassung, unabhängig davon, ob ihr Kind lebt oder nicht.

 

https://www.kindsverlust.ch/wp-content/uploads/2021/10/Kindesverlust-ch_Fachbroschuere_Recht_A5_WEB.pdf

 

Links und Hilfe

Für betroffene Eltern: https://www.kindsverlust.ch/wp-content/uploads/2019/10/Kindsverlust-ch_Fehlgeburt_A5_RZ_WEB.pdf

Für betroffene Angehörige: https://www.kindsverlust.ch/wp-content/uploads/2019/11/191128_Leitfaden-hilfreiches-Verhalten-mit-Logo.pdf

 

Tipps der Betroffenen

  • Redet über eure Gefühle und sprecht eure Bedürfnisse aus! Ich tauschte mich beispielsweise mit meinem Mann, der Hebamme, aber auch mit meinen Freundinnen aus.
  • Schafft Erinnerungen
  • Mir half die Zeit draussen, besonders beim Sport
  • Schafft Inseln für die Partnerschaft
  • kindsverlust.ch hilft: Kostenloser Beratungsdienst telefonisch am Dienstag und Donnerstag von 08:30 – 11:30 Uhr : 031 333 33 60 oder per Mail: fachstelle@kindsverlust.ch
  • Buchtipp: “Gute Hoffnung, jähes Ende: Fehlgeburt, Totgeburt und Verluste in der frühen Lebenszeit. Begleitung und neue Hoffnung für Eltern.” Von Hannah Lothrop
  • Buchtipp für Familien:Emily und der Engelsrufer
  • Podcast-Tipp: Teodora und ihre Freundin Crissy veröffentlichten im August 2022 einen Podcast zum Thema «Todgeburt» (Podcast Nr. 5)

 

Empfehlung von rund∞fit:

Stefanie Meyer von rund∞fit empfiehlt Müttern, die eine Fehl- oder Totgeburt erlebt haben, eine professionelle Rückbildung zu machen.

Dies aus drei Gründen: Einerseits haben die Schwangerschaftshormone den Körper bereits im frühesten Schwangerschaftsstadium verändert, anderseits folgen eine Folgeschwangerschaft und die damit einhergehenden, körperlichen Belastungen oftmals kurz nach dem Verlust.

Es gibt eine Reihe von spezialisierten Rückbildungskursen bei Kindsverlust. Viele findest du hier auf dieser Seite aufgeführt: Rückbildungskurse nach Kindsverlust

So haben auch Dipl. Sportwissenschaftlerin Jessica Rohrschneider und Traumaberaterin Hebamme Janette Harazin einen Kurs entwickelt. Dieser nimmt auf die besonderen Umstände von Sternenkindmamas Rücksicht. Er bietet den Frauen, deren Baby verstorben ist, Raum und Zeit bietet, mit sanften Übungen Ruhe & Kraft zu entwickeln und Körper & Geist in Einklang zu bringen. Das Angebot umfasst Trauerbegleitung, Austausch & Rückbildung in einem und findet ausschliesslich online live statt. Etwa alle 2 Monate startet ein neuer Kurs. Mehr Infos auf www.nona-fit.de/Sternenkurse

Unseren Online-Rückbildungskurs von rund∞fit kannst du kostenlos besuchen, da dieser ein reiner Trainingskurs ist, ohne dass auf das Thema Kindsverlust eingegangen wird.

Einfach melden via Mail: kontakt@rund8fit.ch

Über die Autorin Sandra Baumgartner

Deine E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Die Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}